Jacques Offenbach: vom Thron des europäischen Musiktheaters zwischen alle Stühle
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Eine tragikomische Operette in 5 Jahren
Jacques Offenbachs Operette „Die Großherzogin von Gerolstein“ in einer Bearbeitung von Peter Lund feiert am 14. Jänner Premiere in der Oper Graz.
1867 ist Offenbach der unangefochtene König des musikalischen Unterhaltungstheaters. In Paris, London und Wien grassiert das Offenbach-Fieber, und jeden Sommer trifft sich ‚toute l’Europe‘ in Bad Ems, um dem Meister beim Komponieren über die Schulter zu schauen.
Keine fünf Jahre später ist Jacques Offenbach Persona non grata. Der Deutsch-Französische Krieg hat alles verändert. Aus dem Europäer par excellence ist ein Paria geworden, dem die Presse mit offenem Antisemitismus entgegentritt. Wie konnte das passieren? Und vor allem – so schnell?
Das sogenannte Zweite Kaiserreich ist eine aufregende Zeit. In Paris regiert der Kapitalismus zum ersten Mal ungezügelt die Welt – mit all seinen Vor- und Nachteilen. Standesschranken werden entsprechend durchlässig, und viele bis dato nicht mögliche Konstellationen von Ländern, Vermögen und Personen werden ausprobiert. Die Neugier auf eine neue Zeit macht für kurze 20 Jahre fast alles möglich. Sogar, dass ein deutscher Jude aufsteigt zum gesamteuropäischen Liebling des Musiktheaters.
Das beste Versuchslabor für diese neuen „Paarungsmöglichkeiten“ ist das Theater, und Offenbach und seine Librettisten sind seine neugierigsten Forscher. Schier unerschöpflich sind die Themen und Figurenkonstellationen, die die „Fabrik Offenbach“ mit durchschnittlich fünf Premieren pro Saison auf die Pariser loslässt und dabei ganz nebenbei ein neues Frauenbild erfindet: die erotisch und ökonomisch unabhängige Frau. Von keinem so überzeugend auf die Bühne gebracht wie von Offenbachs Muse und Hauptdarstellerin Hortense Schneider. Und nirgends verwischen die Grenzen von Bühne und politischer Realität mehr als bei ihrem größten Erfolg: der „Großherzogin von Gerolstein“.
Alle königlichen Häupter Europas sind bei der Weltausstellung zu Gast, und ALLE besuchen nach der Vorstellung „La Schneider“ in ihrer Garderobe – was ihr den etwas zweifelhaften Ehrentitel der „Passage des Princes“ einbringt. Dass sich fast zeitgleich die politische Großwetterlage dramatisch verschlechtert, wird von den Autoren komplett ignoriert. Ist das jetzt genialische Satire oder blindester Eskapismus? Ganz ahnungslos können sie zu diesem Zeitpunkt nicht gewesen sein. Offenbach hat fast jede Sommersaison in Bad Ems verbracht, und Bismarck könnte beim Verfassen der berühmtberüchtigten Depesche durchaus im Hotelzimmer nebenan gesessen sein. Was zumindest wirklich keiner ahnen konnte: wie sehr dieser Deutsch-Französische Krieg das Verhältnis der beiden Länder ruinieren sollte. Aber auch die innerfranzösische Stimmung hat sich komplett geändert. Wenn man das Zweite Kaiserreich in seiner wilden Feierlaune, seiner Experimentierlust – aber auch seiner wirtschaftlichen Krisen wegen – durchaus mit den Goldenen Zwanzigern vergleichen kann, herrscht nur fünf Jahre später finsterster Nationalismus mit einem Moralbegriff, der mit aller Macht versucht, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Offenbach ist hier das prominenteste Opfer: Für die Deutschen ist er plötzlich Franzose, für die Franzosen ist er Deutscher, und für alle ist er Jude. Und das erinnert dann ebenso daran, was politisch auf die Roaring Twenties folgte, wie auch an die Rolle rückwärts, die die heutige Weltpolitik unternimmt. Schuld wie immer: die Globalisierung. Die emanzipierte Frau. Und die Juden. Sehr viel Grund also, endlich wieder hellsichtige
Operette zu spielen.
Peter Lund
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