Material für zehn Opern!

Im Gespräch mit Regisseurin Jetske Mijnssen

 


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Regisseurin Jetske Mijnssen im Gespräch über Giuseppe Verdis Oper Don Carlo, die am 13. April Wiederaufnahme feierte. 

 

In Schillers Drama nehmen die Themen Freiheit, die Befreiung Flanderns, die politischen Verhältnisse, die Glaubenskriege eine zentrale Rolle ein. Wie verhält es sich bei Verdi? Welche Fragen ruft er uns heute zu?

Bei Verdi steht, neben allen politischen und religiösen Themen, die persönliche Tragödie im Zentrum. Die Situation, dass ein Vater die Geliebte seines Sohns heiratet, ist natürlich ein fantastischer Opernstoff. Die Einsamkeit, den Schmerz, die inneren Narben der Figuren in den Fokus zu rücken, zu verdeutlichen, ist mein Anliegen. Und Verdi hat all diese inneren Konflikte unglaublich berührend in Musik verwandelt. Da muss man sich nichts dazu denken, nur gut hin- und zuhören und das Libretto lesen. Ich empfinde diese Oper als ein Kammerspiel. Um die Figuren wirklich zu zeigen, um abzutauchen in deren innere Welten, haben wir uns entschieden, uns sehr stark auf die Figuren und Gefühle zu konzentrieren. Und dies spiegelt sich in der Ausstattung wider.

 

Die Liebe steht, wie die Frage nach Freiheit und Revolution, zwischen den Figuren und niemand weiß genau, wer wen liebt, wer wen betrügt. Ist es denn möglich, in dieser Welt, wahrhaft zu lieben oder geliebt zu werden?

Diese Oper hat Material für zehn Opern. Nur im Bereich ‚Liebe‘ gibt es viele Varianten: Vater-Sohn-Liebe und Enttäuschung (zwischen Carlo und Philipp, aber auch zwischen Philipp und seinem Vater, Karl V.), Männer-Freundschaft, die fast zu Liebe wird (Rodrigo und Carlo, aber auch zwischen Rodrigo und Philipp; wobei Philipp in Rodrigo eher den Sohn sucht, den er sich so sehr wünscht), unmögliche Liebe (zwischen Elisabeth und Carlo, aber auch zwischen Eboli und Carlo und Eboli und Philipp). Und dann noch die Schatten von Liebe: Eifersucht und Untreue. Ja, dieses Stück ist seltsam reich an ‚Liebesgeschichten‘. Und nein, in dieser Welt gibt es keinen Raum für Glück, für Liebe.

 

Worin liegt für dich die größte Tragik dieser Geschichte?

In der Probenzeit ist mir bewusst geworden, dass diese Oper viele Titel tragen könnte: Philipp, Elisabeth, Rodrigo oder Eboli … Jeder hat eine große Szene, wo wir einen Einblick in die persönliche Einsamkeit und Verzweiflung bekommen. Alle streiten gegen innere Dämonen, führen einen inneren Kampf. Elisabeth geht einen furchtbaren Weg: Sie kämpft darum ihre Liebe zu Don Carlo zu beherrschen, zu unterdrücken, dann wird sie am Hof verraten – Eboli nimmt ihr das Privateste, eine Schatulle ihrer persönlichen Dinge, weg –, Philipp ist untreu mit Eboli, … es gibt für diese verletze Frau am Ende nur noch einen Ausweg, ein Schicksal, dem sie ganz souverän und mutig in die Augen schaut. Auch Eboli macht eine beeindruckende Entwicklung durch; ihr fast krankhaftes Verlangen geliebt zu werden, zerreißt mein Herz.

 

Was ist für dich der Moment der größten Utopie?

Am Ende des Autodafés singt die Stimme von oben: Bei uns ist sie eine von der Inquisition Gefolterte … Philipp wird von dieser Stimme angezogen und plötzlich sehen wir seinen inneren Kampf und seine große Verzweiflung … vielleicht möchte er es auch anders, er weiß nur nicht, wie er aus seinem eigenen Terror herauskommt. Das Menschliche von Philipp empfinde ich als tief berührend und hoffnungsvoll.

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