Morgen und Abend
Libretto von Jon Fosse, in der deutschen Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel
In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Österreichische Erstaufführung
Empfohlen ab 15 Jahren
Content
Ein Kind wird geboren, jemand stirbt, das Meer braust unaufhaltsam … Zwischen Morgen und Abend, Leben und Tod, Realität und Traum, Sehnsucht und Illusion gleitet diese Oper des in Graz geborenen Georg Friedrich Haas in einen außergewöhnlichen Sog: An einem Morgen erwartet der Fischer Olai die Geburt seines Kindes, durchlebt sie mit jeder Faser seines Körpers: Johannes wird geboren. An einem späteren Abend begegnen wir dem mittlerweile nun schon älteren Johannes, der wie sein Vater Fischer wurde und nun im Ruhestand ist. Seine Frau Erna ist bereits verstorben, und die Tochter Signe kümmert sich regelmäßig um ihren Vater. Als er an einem Morgen erwacht, erlebt er die Welt auf neue Art und Weise, er fühlt plötzlich die Schwäche seines Körpers nicht mehr und erlebt aufwühlende Begegnungen.
Georg Friedrich Haas’ hoch expressive Vertonung dieses Stoffes geriet bei der Uraufführung am Royal Opera House Covent Garden London im November 2015 zu einem außerordentlichen Triumph. Nach Aufführungen an der Deutschen Oper Berlin und am Theater Heidelberg wird diese mitreißende Oper ihre österreichische Erstaufführung an der Oper Graz in einer Inszenierung von Immo Karaman erleben. In der Rolle des Olai begegnen wir dem international renommierten Schauspieler Cornelius Obonya, der nach seinem Erfolg als Peer Gynt nach Graz zurückkehrt. Unter der musikalischen Leitung von Chefdirigent Roland Kluttig brausen die Emotionen und das Meer, umhüllen die Geschichte von Olai, seinem Sohn Johannes, verkörpert von Ensemblemitglied Markus Butter, und dessen Tochter Signe, gesungen von Cathrin Lange, die an der Oper Graz bereits als Blonde zu sehen war.
Ohren auf! Regisseur Immo Karaman und Dramaturgin Marlene Hahn über die Oper „Morgen und Abend“, erstellt von Lukas Mimlich
Im Schiffsrumpf des Lebens
„An der Grazer Oper gelingt eine stimmungsstarke Inszenierung von Georg Friedrich Hass‘ Oper „Morgen und Abend“. Neben starken Bildern überzeugt auch die musikalische Umsetzung. Aus den Proszeniumslogen ballern nicht die Kanonen, sondern die großen Trommeln los, bald vagabundiert ein Quintklang durch die Instrumentengruppen. Gleißende, sich permanent verbiegende Klangflächen der Streicher bringen die Dinge in Schräglage. Obonya steigert sich kunstfertig in Richtung Übergeschnapptheit. Die Geburt ist bei Haas ein dystopischer Zustand, mit kreatürlicher Intensität schreit sich Obonya an die Spitze des orchestralen Grauens. […] Zum Glück bringt die Regie im zweiten Teil die Dinge zum Abheben. Erst schwebt das wandlose Haus des Fischers herbei und bald wieder davon, dann multipliziert sich die verstorbene Gattin Erna. Kurz sieht man mehrere Zeitebenen aus dem Leben des Johannes synchron. Zusammen mit Rifail Ajdarpasic (Bühne), Daniel Weiss (Licht) und Fabian Posca (Kostüme) kreiert Karaman stimmungsstarke Traumwelten der Transzendenz. Her mit dem Preis für die beste Musiktheaterinszenierung! Markus Butter singt und schimpft sich als Johannes mit kraftvoll-noblem Ton in seinen Tod, im Piano erinnert das Timbre des Baritons an jenes von Tenor Jonas Kaufmann. Matthias Koziorowski, der als Peter seinen Freund Johannes ins Jenseits geleitet, weckt mit seiner klaren Helligkeit Anklänge an einen seiner prominenten Vorgänger in Graz, Heinz Zednik. Haas gönnt dem Peter sogar einen kurzen Buffo-Moment, man glaubt es nicht. (Stefan Ender für den Standard)
Im Reich zwischen Hier und Dort
„ ‚Morgen und Abend‘ von Georg Friedrich Haas geriet bei der Premiere mit bravouröser musikalischer Interpretation und der eindringlichen Regie von Immo Karaman zu einem berührenden Theaterereignis. […] Einsam steht Olai auf einem Strand mit Schwemmgut in einem Schiffsbauch. Er wartet auf die Geburt seines Sohnes. Cornelius Obonya gibt den bangenden Vater mit Emphase, seine Stimme ist kein Gesang und doch Instrument, das sich in die irisierenden Klangflächen einwebt. […] Diesen Schwebezustand, den eine aus dem Schnürboden herabsinkende stilisierte Blockhütte noch unterstreicht, hält Immo Karaman klug, klar und ohne Plakativität aufrecht. Der deutsche Regisseur findet eindringliche Szenen für die Endzeitstimmung eines Einzelnen, der der Welt und dem die Welt abhandengekommen ist. Fremd ist er eingezogen, fremd zieht er wieder aus, dieser Johannes, szenisch und stimmlich formidabel dargestellt von Markus Butter mit kraftvollem Bariton. Neben ihm brillieren auch Christina Bader (Erna), Matthias Koziorowski (Peter) und vor allem Cathrin Lange (Hebamme, Signe) bis zu ihrem stratosphärischen letzten Ton. […] Roland Kluttig führt durch all die Komplexitäten der Partitur bis hin zu Worteinsätzen für Obonya höchst präzise und so selbstverständlich, als wären es statt kompositorischer Ideenkaskaden heitere Frühlingswalzer aus Wien. Die Philharmoniker folgen ihm durch das auch rhythmisch heikle Dickicht mit großer Bravour. Sie und der Opernchor aus dem Bühnenhintergrund mit spektrenreichen Vokalisen schreiben so mit an dieser existenzialistischen Geschichte, die ohne religiöse Lasur auskommt […] (Michael Tschida für die Kleine Zeitung)
Ein hochemotionaler Sog zwischen Leben und Tod
„ […] Die expressive Musik von Haas löst einen starken emotionalen und dramatischen Sog aus. Sie besitzt archaische Wucht, hohe Leuchtkraft mit irisierenden Klangflächen, einem Reichtum von Harmonien, unter Verwendung von Glissandi, Obertonspektren und feinen Intervallschichtungen. Unter der Leitung des Chefdirigenten Roland Kluttig werden diese komplexen Klänge von den Grazer Philharmonikern mit Präzision, Konzentration und Emotion wiedergegeben. Cornelius Obonya verkörpert die Sprechrolle des Olai mit nuancenreicher Eindringlichkeit. Kraftvoll und famos singt Markus Butter den Johannes, Neugeborener und Sterbender, ein Mann am Beginn und Ende seines Lebens. Cathrin Lange singt die Hebamme und Signe mit glasklarem Sopran und ungefährdeten extremsten Höhen. Christina Baader ist die warmherzige Erna. Als Peter besticht Matthias Koziorowski mit expressivem Tenor. Großer Jubel, auch für den Komponisten. Erna. Als Peter besticht Matthias Koziorowski mit expressivem Tenor. Großer Jubel, auch für den Komponisten.“ (Helmut Christian Mayer für den Kurier)
Der erste und der letzte Tag
„Mit der österreichischen Erstaufführung von „Morgen und Abend“ ist der Grazer Oper ein Ereignis gelungen. Für die berührende Geschichte vom ersten und letzten Tag im Leben des Fischers Johannes finden Regisseur Immo Karaman, Dirigent Roland Kluttig und das hervorragende Ensemble genau die richtigen Töne.
Es ist ein Feuerwerk an Emotionen, das Haas in seiner 2015 in London uraufgeführten Oper nach einem Roman von Jon Fosse auf das Publikum loslässt. Schon die schicksalsschweren Paukenschläge zu Beginn und die vielfach aufgespaltenen Klangflächen künden von Dramatik und Spannung. […] Nicht minder aufwühlend ist Immo Karamans Inszenierung, die im düsteren Grau einer zerfallenden Welt (Bühne: Rifail Ajdarpasic, Licht: Daniel Weiss) mit den Zeiten spielt, und doch eine ganz klare Geschichte erzählt: Denn als Olai seinen neugeborenen Sohn ins Bett legt, verwandelt sich dieser in einem Augenblick in den alten, sterbenden Johannes. Markus Butter spielt und singt diese Rolle mit Bravour. Sein Sterben, das in einer Klangexplosion tausendfach berstenden Glases gipfelt, wird an diesem Abend zu einem kollektiven Erlebnis. Seine Begegnungen mit seiner Frau Erna (Christina Baader) und seinem besten Freund Peter (Matthias Koziorowski), die ihm beide schon vorausgegangen sind, berühren ebenso wie die Trauer seiner Tochter (Cathrin Lange). Ein starker, ein mitreißender Abend, der zeigt, wie faszinierend Oper auch heute sein kann.“ (Michaela Reichart für die Kronen Zeitung)
In der Oper Graz ereignet sich ein Glücksfall
In „Morgen und Abend“ entfalten sich Klanglandschaften von irisierender Schönheit.
„[…] In Graz ereignet sich ein eindringlich still-intensiver Glücksfall: Cornelius Obonya offenbart seine (durchaus widersprüchlichen) Gefühle zwischen Sorge und Freude mit einem punktgenau dosierten Rhythmus- und Klangempfinden. Dem Anfang ist schon das Ende eingeschrieben, dem Morgen der Abend, dem (werdenden) Leben die Ahnung des Todes und dem Wort der Klang, der Sprache die Musik. […] Für diese Zustände findet Haas Klanglandschaften von irisierender Schönheit und klanglicher Prägnanz. Man erkennt, besser: erfühlt lange gehaltene (Einzel-)Töne, die entstehen, sich verdichten, auflösen, durch wechselnde Instrumente ineinandergleitend das Paradoxon einer statischen Bewegung ergeben, sozusagen inwendig voller Figur, dabei dynamische Grenzbereiche ausloten und doch in jedem Moment komponiert sind weitab jedes billigen Effekts einer Illustration.
Die Grazer Philharmoniker musizieren diese Zustände großartig einfühlsam und hoch konzentriert aus. Opernchef Roland Kluttig steuert das Werk unaufgeregt souverän und mit fabelhaftem Gespür für die Gewichtungen von Orchester, unsichtbarem Chor und Solisten. […] Regisseur Immo Karaman und sein Bühnenbildner Rifail Ajdarpasic schufen dafür kongenial Raum: in einem Schiffsrumpf, dessen Boden ausgefüllt wird von kalter Asche, grauem Gestein und Staub, worauf sich der karge Umriss eines Hauses mit ebenso beweglichen Dachsegmenten senkt und hebt. Andeutung und Konkretion sind in perfekter Balance auch in den Doppelungen der Figuren (durch die Statisterie), das Wirkliche und das Unwirkliche: Hier ist‘s, auch dank großartiger Personenführung, Ereignis wie der gesamte Abend. Die Spannung im Premierenpublikum am Samstag war zum Greifen, der Beifall war begeistert. (Karl Harb für die Salzburger Nachrichten)